Eine Herausforderung für alleBis Monatsende läuft der Distanzunterricht – vorerst

Verfasst von Daniela Apel am 15.01.2021

Zehntklässler Hannes Krüger (16) bedauert, beim Lernen derzeit ganz allein zu sein. Foto: Iris Krüger

Zehntklässler Hannes Krüger (16) bedauert, beim Lernen derzeit ganz allein zu sein. Foto: Iris Krüger

Unterricht allein zu Hause statt gemeinsam im Klassenzimmer – für viele Schüler ist das momentan Realität. Vorerst bis Ende Januar ist der Regelbetrieb an den Schulen ausgesetzt. Und das Lernen auf Distanz wird wohl auch im Februar weitergehen. Von Daniela Apel Zerbst
Der Distanzunterricht sei eigentlich nicht schlecht, gesteht Hannes Krüger. Doch das Aber folgt. “Man sitzt ganz allein zu Hause”, vermisst der 16-Jährige nicht nur seine Freunde. Das selbstständige Lernen bekommt in Corona-Zeiten eine völlig neue Bedeutung. Dem Zehntklässler des Zerbster Francisceums fällt die Schule relativ leicht. Manch Mitschüler habe da größere Probleme, weiß er. “Viele aus meiner Klasse sagen, Chemie ist schwer”, sagt Hannes. In solchen Momenten fehlt der spontane persönliche Austausch mit dem Fachlehrer. Interaktive Video-Chats gebe es nicht, bedauert der Gymnasiast.
“Die ,Digitalisierung‘ ist in den Schulen in Sachsen-Anhalt offensichtlich noch nicht angekommen, jedes Unternehmen und jeder Handwerksbetrieb ist da schon um Lichtjahre weiter”, bemerkt Iris Krüger. “Und wenn dann der Bildungsserver wie vor Weihnachten dem vorhersehbaren Ansturm nicht standhalten kann, abstürzt und nicht erreichbar ist, ist das für unsere Kinder ärgerlich und für uns als Eltern schlicht nicht nachvollziehbar”, ergänzt sie.
Als schwierig erachten die Krügers, dass wie bereits bei den letzten Schulschließungen kaum neuer Lernstoff vermittelt wird. Vielmehr handele es sich bislang zum überwiegenden Teil um Wiederholungen, denen sich Hannes widmet. Jeden Morgen wählt er sich daheim in Pakendorf im Internet auf der Lernplattform Moodle ein. Dort stellen die Lehrer online die verschiedenen Aufgaben sowie Arbeitsblätter für die Schüler ein. “Sie machen das nach Stundenplan”, erzählt der Zehntklässler.
Anders läuft dies bei seiner achtjährigen Schwester. Leni besucht die zweite Klasse der Steutzer Grundschule. Sie erhält Lernpläne in Papierform – jeden Montag erfolgt die Ausgabe. Während ihre Eltern arbeiten sind, erledigen die Beiden ihre jeweiligen Aufgaben. Das braucht Eigenmotivation. “Ein kleines bisschen Überwindung kostet es”, gibt Hannes zu. “Leni macht fast alles alleine”, erzählt er. Nur ab und zu benötigt sie Hilfe vom großen Bruder, der hofft, dass der normale Schulalltag bald zurückkehrt.
Derzeit sieht es jedoch nicht danach aus. In Anbetracht des aktuellen Infektionsgeschehens bezweifelt Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU), dass bereits im Februar wieder Präsenzunterricht stattfindet. Diesen vermisst auch Tessa Schulze. Die elfjährige Gymnasiastin sitzt momentan ebenfalls zu Hause in Steutz, statt in der Rephunschule in Zerbst, wo sie viel lieber wäre. “Es fällt schon schwer, sich selbst zu motivieren”, gesteht die Sechstklässlerin.
Den Stoff, den ihr sonst die Lehrer direkt vermitteln würden, muss sie sich nun ebenfalls selbst beibringen – sich für Geografie mit eiszeitlichen Formen beschäftigen oder für Deutsch eine Fabel schreiben. Der Islam steht in Geschichte auf dem Homeschooling-Plan – neben Mathe nicht gerade eines ihrer Lieblingsfächer. Besonders hier fehlen ihr die direkten Erklärungen. Auch wenn sich einzelne Lehrer inzwischen etwas einfallen lassen, um ihren Schützlingen die Themen näher zu bringen und schon mal ein Video zur Erläuterung drehen.
“Für die Lehrer stellt das alles auch eine Herausforderung dar”, ist sich Mutti Stefanie Schulze sicher. Wie ihr Mann ist sie voll berufstätig. “Vor halb Drei ist keiner von uns Beiden zu Hause”, erzählt die Steutzerin. Was Tessa bis dahin allein nicht schafft, bleibt meist bis zum Wochenende liegen. “Nachmittags oder abends brauchst du damit nicht mehr anfangen”, meint Stefanie Schulze. Zumal manche Aufgabe bei ihr selbst zu Stirnrunzeln führen. “Google ist eine Hilfe”, bemerkt sie schmunzelnd. “Das Problem ist, woher weiß ich, dass es richtig ist?”, wird sie wieder ernst. Wünschen würde sich Stefanie Schulze zudem, dass es eine kurze Info gibt, sobald ein Lehrer neue Aufgaben auf Moodle hochgeladen hat und man nicht dauernd nachschauen muss.
Ein Hindernis stellt mitunter die Technik dar. Während die Internetverbindung soweit läuft, “streikt unser Drucker oft”, verrät die Steutzerin. “Und eigentlich bräuchten wir einen neuen Laptop, aber das kostet auch nicht wenig”, bemerkt sie. Froh ist Stefanie Schulze, dass ihre sechsjährige Tochter Jasmin derzeit die Grundschule im Ort besuchen kann, wo während der Notbetreuung ebenfalls die Lernpläne erledigt werden. “Zum Glück”, sagt sie mit Blick auf ihre kleine Erstklässlerin, die dort zumindest auch einzelne Freunde trifft.
Tatsächlich ist es in diesen Tagen vergleichsweise ruhig in den Schulen der Einheitsgemeinde Zerbst. Nur für die Abschlussklassen gibt es den regulären Unterricht – zumindest fast. Im Francisceum sind die vorhandenen Räume ausreichend groß, um die insgesamt 55 Zwölftklässler zeitgleich auf Abstand zu unterrichten, wie Gymnasiumsleiterin Veronika Schimmel berichtet.
Anders schaut es hingegen an der Ganztagsschule Ciervisti aus. “Wir haben die drei zehnten Klassen mit insgesamt 61 Schülern und die 16 Hauptschüler aus den neunten Klassen jeweils geteilt”, schildert Schulleiterin Kirsten von Mandel. Im täglichen Wechsel sind die Gruppen vor Ort – das heißt, während die einen zu Hause via Moodle lernen, drücken die anderen die Schulbank. Der 17-jährige Joel Wendler ist froh über diese Möglichkeit. “Hier im Unterricht können die Lehrer mehr auf unsere Fragen eingehen und alles genauer erklären”, findet der Hauptschüler. Denn er würde sich gern für die zehnte Klasse qualifizieren, um vielleicht doch den Realschulabschluss zu schaffen genauso wie Kevin Heyer. Der 14-Jährige hat wie viele Schüler die Hoffnung, dass “wir bald wieder zur Normalität zurückkommen”. Denn die jetzige Situation verlangt vor allem den Kindern eine ganze Menge ab.

Kommentar

Mit neun, zehn Jahren wollte ich Lehrerin werden, Schulanfängern das Abc und Einmaleins beibringen. Als Mutter einer Erstklässlerin wird mein damaliger Traumberuf nun auf einmal unverhofft Realität. Dank Corona muss ich plötzlich in die Rolle einer Pädagogin schlüpfen. Einem Kind das Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln, klingt allerdings leichter, als es ist. Zwischen Lautübungen, Worttreppen und dem Bündeln von Zehnern und Einern merkt man schnell, welche Herausforderung das ist. Lehrer sind genau für diese so wichtige Aufgabe qualifiziert, haben dafür studiert. Sie bringen das Wissen und die Erfahrung mit, Kinder zu unterrichten und zwar persönlich – nicht auf Distanz. Hygieneregeln sind notwendig, um das Coronavirus einzudämmen. Sicher. Doch es bedarf anderer Konzepte als des Homeschoolings. Vor allem muss sich die Politik endlich dafür einsetzen, den Lehrermangel zu beseitigen. Das würde auch das Bilden von kleineren Lerngruppen deutlich erleichtern. Doch dieses Problem scheint in all den Diskussionen um Präsenzpflicht, eingeschränkten Regelbetrieb oder Distanzunterricht völlig unterzugehen. Leider.



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