Äußerung im Stadtrat sorgt für ZündstoffCDU-Mann: "Klima-Schulschwänzer könnten morgen möglicherweise an der Schwimmhalle sitzen"

Verfasst von Thomas Kirchner (Volksstimme) am 03.04.2019

Am Freitag vor zwei Wochen haben 20 Francisceer gemeinsam mit Tausenden Jugendlichen in Leipzig gegen den Klimawandel demonstriert, Aber sie wollen auch aktiv etwas tun. Am Wochenende ziehen sie durch ihre Heimatstadt und sammeln Müll ein, den andere Menschen sorglos wegwerfen. Foto: Thomas Kirchner

Am Freitag vor zwei Wochen haben 20 Francisceer gemeinsam mit Tausenden Jugendlichen in Leipzig gegen den Klimawandel demonstriert, Aber sie wollen auch aktiv etwas tun. Am Wochenende ziehen sie durch ihre Heimatstadt und sammeln Müll ein, den andere Menschen sorglos wegwerfen. Foto: Thomas Kirchner

Das Engagement von Zerbster Gymnasiasten hat im Zerbster Stadtrat zu einem Schlagabtausch mit bitterem Beigeschmack geführt. Einige Stadträte und die betroffenen Jugendlichen des Francisceums sind entsetzt und wütend.

Von Thomas Kirchner Zerbst ● Die Jugendlichen, die heute die Schule schwänzen, könnten morgen möglicherweise an der Schwimmhalle sitzen, dieser Satz, den Stadtrat Volker Krüger (CDU) am vergangenen Mittwoch kurz vor Ende des öffentlichen Teils der Stadtratssitzung äußerte, sorgt für Wirbel, Unverständnis und auch Wut.
Doch wie kam es dazu? Holger Behnke (CDU) stellt kurz zuvor den Antrag, die Erhebung von Parkgebühren vor der Schwimmhalle auszusetzen. Begründung: Er erlebe jeden Freitag live, was dort passiert mit den Jugendlichen. Es traue sich keiner mehr, sein Auto dort abzustellen, weil man Angst habe, es werde demoliert oder zerkratzt. Dafür solle man dann auch noch Parkgebühren bezahlen. Der Antrag wird später zurückgezogen.

Das will Jens Wernecke (Linke) nicht so stehen lassen. Aus seiner Sicht ist “die Jugend” zu allgemein formuliert. Er verweist auf die Zerbster Gruppe “Fridays for Future”, die sich engagiert und den Mut hat, für ihre Überzeugung auf die Straße zu gehen. Daraufhin springt Volker Krüger (CDU) seinem Parteifreund Holger Behnke zur Seite, so allgemein sei das nicht gemeint gewesen. Krüger weiter: “Die Jugendlichen, die heute die Schule schwänzen, könnten morgen möglicherweise an der Schwimmhalle sitzen.”

“Um dann dort was zu tun, Alkohol zu trinken, Autos zu zerkratzen und Steine in die Scheiben der Schwimmhalle zu werfen?”, fragt sich Nicole Ifferth (Unabhängige Wählergemeinschaft Zerbst). Ihre Tochter hat die Ortsgruppe gemeinsam mit Bennet Rietdorf ins Leben gerufen. “Die Kampagne ,Fridays for Future‘ ist ein wichtiger und längst überfälliger Weckruf an uns alle”, erklärt sie. Als ihre Tochter sie fragte, was sie davon halte, wenn sie dort teilnehmen würde, sei sie sofort dafür gewesen.

“Ich bin stolz auf diese Jugendlichen. Sie fordern ihre Grundrechte: das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Recht auf Leben und ganz besonders den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – auch in Verantwortung für künftige Generationen (Art. 20a Grundgesetz) ein”, betont Nicole Ifferth: “Wir Erwachsenen sollten uns schämen, dass wir es so weit kommen ließen. Nun müssen unsere Kinder auf die Straße gehen, weil die Volksvertreter ihren Job nicht gut genug machen.” Die Menschheit sei dabei sich abzuschaffen und “wir beschimpfen diese Kids als Schulschwänzer und mehr. Schlimm, wenn uns nichts Besseres dazu einfällt”, ärgert sich die Stadträtin.

“Wir haben in großen Teilen eine engagierte, zielstrebige und sehr fleißige Jugend, die auch den Mut hat, wichtige Themen nicht nur mal anzusprechen, sondern dafür auch auf die Straße geht, so wie die 20 Francisceer”, sagt Jens Wernecke nach der Stadtratssitzung. Klimaschutz gehe uns alle an. “Umso mehr freut es mich, dass sich nun auch erstmals Zerbster Schüler an, Fridays for Future‘ in Leipzig beteiligt haben”, so Wernecke. Bennet Rietdorf und seinen jungen Mitstreitern gebühre dafür ein donnernder Applaus.

Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) ist ganz bei den Zerbster Gymnasiasten. “Die Stadt unterstützte die Initiativgruppe bei ihrer Aufräumaktion am Wochenende mit der Bereitstellung und Kostenübernahme für Container und Müllsäcke. Ich steuere aus meinem Verfügungsfond Arbeitsschutzhandschuhe bei. Die Zerbster zeigen mit ihrer Aktion, dass sie eben nicht nur am Freitag schulfrei machen, sondern sich auch am Wochenende engagieren. Von mir gibt es ein Daumen hoch dafür”, erklärt Dittmann auf Nachfrage.

Die Francisceer selbst sind entsetzt bis wütend. “Mittlerweile ist, Fridays for Future‘ zu einer weltweiten Bewegung geworden”, sagt Bennet Rietdorf. Mehr als 1,2 Millionen Jugendliche in zahlreichen Ländern würden freitags auf die Straße gehen, um Druck auf die Politik auszuüben, geeignete Maßnahme zum Schutz des Klimas zu beschließen. “Sollen das alles Randalierer sein?”, fragt er. Im Übrigen wollen die Schüler nicht nur streiken und demonstrieren, sondern auch aktiv werden – auch am Wochenende. “Wir treffen uns hier am Sonnabend und am Sonntag, um anderer Leute Müll in der Stadt zu entsorgen”, sagt Johannes Herrmann. Und das solle auch keine einmalige Aktion bleiben. “Wir möchten diesen Sammelaktion gerne an die jüngeren Jahrgänge weitergeben, beispielsweise als Teil der Mottowoche”, erklärt Johannes Herrmann.

Noch deutlicher wird Ida Lindemann: “Wir sind nicht nur möglicherweise die Schwimmhallensitzer und Scheibeneinschmeisser von morgen, sondern ganz gewiss auch die Wähler von heute – und das schon am 26. Mai.” Solch Kommentare könne sie nicht nachvollziehen. “Entmutigen lassen wir uns von solchen Aussagen allerdings nicht”, so die Zwölftklässlerin. “Der Ihnen übermittelte Wortbeitrag meiner Person ist unrichtig und zudem aus dem Zusammenhang gerissen. Mein Redebeitrag bezog sich im Wesentlichen auf die Richtigstellung einer dem Stadtrat Behnke zugeordneten Aussage und einer ihm dabei unterstellten Pauschalisierung von Jugendlichen in Zerbst” teilt Volker Krüger in einer schriftlichen Stellungnahme mit.

In diesem Zusammenhang habe er eine Äußerung zu der aus seiner Sicht völlig sachfremden und unangemessenen Verknüpfung des berechtigterweise in Kritik stehenden Verhaltens der Jugendlichen im Bereich der Schwimmhalle, mit der Teilnahme junger Menschen an den sogenannten Demonstrationen im Rahmen des “Fridays for Future” getätigt.

“Ich habe ausdrücklich ausgeführt, dass man unterschiedlicher Auffassung sein kann bezüglich der Teilnahme an dieser Aktion und man dieses Verhalten auch als ehrenhaft bezeichnen mag. Ich jedoch vertrete zu diesem Thema eine andere Meinung als der Stadtrat Wernecke”, so Krüger. Er habe zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass die demonstrierenden Jugendlichen Scheiben der Schwimmhalle einschmeißen. “Ich habe erkennbar überspitzt – sowohl vor als auch nach meiner Ausführung – ausgeführt, das man dann auch behaupten könnte, die Jugendlichen, die heute die Schule schwänzen, sitzen morgen an der Bushaltestelle”, schreibt Volker Krüger. Ihm ging es im Wesentlichen darum, die nach seinem Empfinden unangebrachte Verknüpfung und Bagatellisierung der Umstände an der Schwimmhalle durch den Verweis auf die Aktionen am “Friday for Future” darzustellen. Er sei der Auffassung, dass eine Pauschalisierung und Polemisierung von berechtigter Kritik und berechtigten Interessen den aktuellen Problemstellungen nicht gerecht wird. Es sollte die Aufgabe des Rates sein, zusammen mit der Stadtverwaltung nach Lösungen zu suchen. “Für ein weiterführendes und klärendes Gespräch stehe ich jederzeit zur Verfügung”, so Volker Krüger.

Kommentar von Thomas Kirchner

Ich bin ebenso entsetzt bis wütend wie die Francisceer selbst. Die Tausenden von klimaschützenden Jugendlichen als Schüler hinzustellen, die keine Lust auf Unterricht haben, ist zu wenig, denn das sind sie auch nicht. Mittlerweile haben sich sogar Grundschüler, deren Lehrer, Erzieher, Eltern und Prominente dem Protest an den Freitagen angeschlossen. Das sollten nun selbst die mitbekommen haben, die in Deutschland und anderswo Verantwortung tragen. Jede Zeit hatte ihre Protestbewegungen – die 68er, die Frauenbewegung, die Bewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss, die Gorleben-Gegner oder die DDR-Bürger 1989. Und sie alle hatten ihren Sinn und sie alle haben etwas erreicht. Dass es nun Schüler sind, die während der Schulzeit protestieren, kommt wohl einigen gerade Recht. Treff en sich Jugendliche, trinken und werfen Steine in Scheiben, ist die Aufregung groß, engagieren sich Jugendliche für die Umwelt und die Zukunft der Menschheit, ist es auch nicht richtig. Doch mehr als 1,2 Millionen Protest-Schüler auf reine Schulschwänzer oder gar Randalierer zu reduzieren, wird nicht funktionieren. Ich hoffe, es schließen sich noch viele Jugendliche der Protestaktion an. Die Politik ist jetzt am Zug.



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