Zur Baugeschichte des Franziskanerklosters

Sehr viele Quellen, die wir zumeist in der eigenen historischen Bücherei finden, beschreiben die bauliche Geschichte unseres “Klosters”, die aber auch Geschichte von Verfall und Neugestaltung ist.

Die älteste Kunde aus dem Jahre 1246- der Papst Innocenz IV, gewährte allen Förderern der Minoritenbrüder einen Ablass für 40 Tage – lässt noch nicht eindeutig auf die Anwesenheit der Franziskaner in Zerbst schließen. Dagegen ist urkundlich belegt, dass die Klosterkirche am 16.2.1252 vorhanden war. Ein Epitaph der Sophie von Barby weist darauf hin, dass sie den Barfüßern das Grundstück zur Verfügung stellte (…fundatrix hujus loci…). Ob die “Begründerin dieses Ortes” auf Grund der Inschrift als Stifterin für das gesamte Kloster anzusehen ist, bleibt auch deshalb ungeklärt, weil der Gedenkstein erst lange nach ihrem Tode geschaffen worden ist. Der Mönchsorden der Franziskaner errichtete hier bereits 20 Jahre nach dem Tode des hl. Franz v. Assisi im Schutze der Stadtmauer eines seiner schlichten einschiffigen Kirchengebäude – ohne Turm, ohne Schaugiebel oder sonstige Zierelemente. Der Giebel dieser ersten Kirche zeichnet sich im Westen deutlich dunkler vom Mauerwerk ab. Die Mauern dieses frühgotischen Gebäudes waren noch romanisch dick und die Fenster klein, von denen zugemauert eines an der Nordwestseite sichtbar ist. Ein frühgotisches Nordportal zeigt nicht mehr diese strenge Bescheidenheit und ist wahrscheinlich einige Jahrzehnte später ein gefügt worden. Es musste 1912 ausgegraben werden, da das umliegende Friedhofsgelände, der heutige Schulhof, etwa um 2 m aufgeschüttet worden war. Im Süden entstanden die schönen Kreuzgänge, die von der Kirche und drei Klostergebäuden entlangliefen und mit dem Kirchenschiff den ersten Klosterhof bildeten. In gleicher Weise entstand noch ein zweiter Klosterhof. Weil die Kirche sich bald als zu klein erwies, wurde sie im 14. Jahrhundert erhöht und durch einen großen Chor nach Osten auf die heutige Länge gebracht. Nunmehr ließen hohe gotische Fenster viel Licht in das Innere. Der wie auch mehrere Kapitelsäle heute noch erhaltene Remter südlich des kleinen Hofes wurde 1470 bis 1472 an der Stelle des ursprünglichen gebaut, weiterhin eine Bibliothek. Diese ist wahrscheinlich der darüber gehende ebenfalls kreuz gewölbte Raum. Mit Unterbrechung zur Zeit des Gymnasium illustre nimmt er bis heute die Bücherei auf. Die schlichte Erhabenheit des gesamten Bauwerkes innen und außen ging weder durch den gotischen Umbau noch bei der nächsten großen Veränderung um 1800 verloren. sondern beeindruckt jeden Besucher noch immer. Nach der Auflösung des Klosters 1526 und dem Einzug der Johannisschule in das Gebäude 1532 hat es starke Veränderungen gegeben. 1535/36 wurden im Kloster Steine “ausgegraben und ausgebrochen”. Man verwendete sie zum Bau des neuen Hauses auf dem Markt. Einige Gebäude wurden abgerissen. andere instandgesetzt. Vom umliegenden Friedhof verschwanden die Grabsteine. Der Superintendent Ulrich schilderte um 1575 den unwürdigen Zustand des Klosters. Die Kirche war Holzlager und Arbeitsstätte für die Zimmerleute, während in einem anderen Teil (dem Chor?) noch Gottesdienste und Beerdigungen stattfanden. Der einflussreiche Ulrich wollte die Kreuzgänge niederreißen lassen, um Steine für einen anderen Schulbau zu gewinnen. Aber der Rat wandte sich energisch dagegen und konnte es verhindern.

Die Gründung des Gymnasium illustre brachte eine rege Bautätigkeit mit sich, bei der von 1581 bis 1583 insgesamt 816 Taler aufgewendet wurden. Im Westen entstand 1584 ein Renaissancebau mit einem Treppenturm, um Lehr- und Wohnräume zu gewinnen. Allerdings wurde das Kirchengebäude nicht in den Schulbetrieb einbezogen und auch nicht instand gehalten. Der Zustand bei Schließung des Gymnasium illustre ist 1797 vom Rektor der Johannisschu1e, Richter, beschrieben und auch durch einen Grundriss von ihm illustriert worden, bereits 1680 war das Kirchendach eingestürzt. Die Umfassungsmauern begannen zu verfallen, im Inneren wuchsen große Bäume. Die Ruine ist jedoch nicht abgetragen, sondern 120 Jahre später in genialer Weise zu dem jetzigen Schulhauptgebäude umgestaltet worden. Die Kreuzgänge waren schon 1582 überbaut, in die Klostergebäude einbezogen und bis an das Kirchenschiff herangeführt worden.

Sie besaßen nun durchgehend eine Oberetage, die wie unten die Form einer 8 bildete. Das erforderte die Schließung der südlichen Fenster des Chores, der heutigen Aula. 1803 wurde die enorme Höhe des Langschiffes durch zwei Decken geteilt, das erlaubte den Einbau von acht großen Klassensälen. Die Decken entstellen die gotische Fassade erheblich. Da der übrige Umbau sehr geschickt und großzügig erfolgte, fällt diese Sünde besonders ins Auge. Vielleicht findet sich einmal ein Sponsor, der es ermöglicht, eine Verblendung mit angepasstem Ziegelmauerwerk vorzunehmen. Ein Treppenhaus trennte nun den Chor, der noch Ruine blieb, vom Langhaus, Die Kirche wurde außerdem nach Süden um den Kreuzgang verbreitert, über dem dadurch der beeindruckende Hauptflur entstand, der unvergesslich jedem Menschen in Erinnerung bleibt, der diese Schule besucht hat. Ein zweiter fast 50 m langer Flur, der Alumnatskorridor. erhielt eine gotisch gewölbte Holzdecke. Er besitzt ein großes gotisches Südfenster über die gesamte Stirnbreite, die Nordseite ziert das Maßwerk eines zugesetzten Fensters der Aula. Der breite Gang beeindruckt mit seiner einfachen Strenge, die durch Sparsamste Gestaltungselemente unterstrichen wird. Wegen seiner ausgezeichneten Akustik ist er auch als Konzertsaal nutzbar. Die Ruine des Chores der Klosterkirche wurde erst 1871 ausgebaut. In seinem Obergeschoß entstand die feierliche Aula. Ihre Holzdecke erhielt später eine bemerkenswerte Bemalung, deren Parallelstücke in Magdeburg im letzten Krieg sämtlich untergegangen sind. So ist das gesamte Gebäude bei Wahrung seiner baulichen Integrität für die Bedürfnisse eines Gymnasiums hergerichtet worden.

Wenn ein Zerbster hier zur Schule ging, dann hieß es noch bis in die jüngste Zeit: „Er geht aufs Kloster”. Erst aus diesem Jahrhundert stammt eine Zutat die eher als Untat zu bezeichnen wäre. An die Stelle eines zwar ebenfalls stufenden aber schonen Renaissanceportals wurde ein würfelförmiger Eingangsbau gesetzt. Sollte es unmöglich sein mit Hilfe der Denkmalspfleger das Portal eines im Krieg zerstörten gotischen Bauwerks hier mit Sinn wieder aufzurichten? Der sehenswerte Rundturm von 1482 an der Stadtmauer gehört ebenfalls zur Schule und wird für den Astronomieunterricht genutzt. Neben dem Turm befindet sich an der Außenseite der Mauer eine Tafel: “Hier erstiegen Ernst’s von Mansfeld Truppen am 16. März 1626 die Mauer und nahmen die Stadt ein.” Damit begann für Zerbst das Elend des 30jährigen Krieges und der Niedergang dieser größten und reichsten Stadt der Fürstentümer Anhalts. Die Stadtmauer bildet auf einer Länge von fast 180 m die Begrenzung des Schulgeländes und enthält auf diesem Stück noch einen Halbschalenturm. der völlig mit Efeu überwachsen ist. Mit dem vor gelagerten Grüngelände, den Büschen und den stattlichen Bäumen bildet die Mauer eine wundervolle Kulisse für das ehrwürdige Klostergebäude. Schon bald könnte der alte Klosterbrunnen wiederhergestellt werden, dessen Teile unbeschädigt auf dem Gelände stehen.

In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg reichten trotz aller Bemühungen die Mittel nicht aus, um die nötigen Reparaturen und Modernisierungen zu ermöglichen. Erst im Jahre 1992 erhielt der gesamte Komplex neue Dächer mit einem Kostenaufwand von etwa 1.5 Millionen DM. An mehreren Stellen mussten schadhafte Balken ausgewechselt sowie Schädlinge und Pilze bekämpft werden. Die Auladecke wurde demontiert, restauriert und wieder eingebaut. Nach dem Abschlagen des Putzes wurden die Fenster an der Südseite sichtbar. Ihre Konturen gliedern die neue Wandfläche, die wieder die historischen Bildnisse der Rektoren des Gymnasium illustre und des Francisceums (bis Münnich) trägt. Aus Anlass des l90jährigen Schuljubiläums im April 1993 ist die Aula als erster Teil der Francisceumsgebäude für 300.000 DM restauriert worden. Dafür gab es direkte Unterstützung durch das Bildungsministerium des Landes Sachsen-Anhalt. In einem langfristigen Sanierungsprogramm sind neue Installationen, Fenster, Fußböden und Fassaden für das ganze Gebäude vorgesehen. Jedoch sollte der auch schon geäußerte Wunsch, die alte graue Kirchenfassade zu verputzen, sicher nicht in Erfüllung gehen. Das Francisceum in Zerbst ist ein Baudenkmal und eine Kulturstätte von nationalem Rang, es repräsentiert die Geschichte der Stadt Zerbst. Das ist ein hoher Anspruch und eine große Verpflichtung. Der Übergang der Schulträgerschaft von der Stadt an den Landkreis Zerbst am 1.1.1993 entsprechend dem Bildungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt ändert an diesen Feststellungen wenig. Die enge Zusammenarbeit des Francisceums mit der Stadt und dem Kreis im Interesse der gemeinsamen Aufgabe, der Erhaltung und Wiederherstellung des historischen Gebäudekomplexes, wird für deren Bewältigung die beste Voraussetzung sein.

W. Tharan