Zerbst entdeckt einen großen SohnBei szenischen Lesungen wurden Manfred Bielers Werke wieder ins Gedächtnis seiner Heimatstadt gerufen.

Verfasst von Thomas Kirchner (Volksstimme) am 20.03.2018

Mehr als 20 Akteure der Theatergruppen aus dem Francisceum und der Essenzenfabrik waren an der Szenischen Lesung in der Essenzenfabrik beteiligt. (Foto: Thomas Kirchner)

Mehr als 20 Akteure der Theatergruppen aus dem Francisceum und der Essenzenfabrik waren an der Szenischen Lesung in der Essenzenfabrik beteiligt.
(Foto: Thomas Kirchner)

Am Sonnabend platzte die Zerbster Essenzenfabrik in der Kastanienallee in den Abendstunden aus allen Nähten. Eingeladen hatten die Theatergruppe des Francisceums und der Essenenzenfabrik zu einer szenischen Lesung.

Moderiert wurde der literarische Abend von Prof. Hans-Rüdiger Schwab. Er dürfte den Zerbstern inzwischen als künstlerischer Leiter und Regisseur des Prozessionsspiels bekannt sein.

An diesem Abend ging es aber um einen der bedeutendsten deutschen Erzähler der Nachkriegszeit, Manfred Bieler. “Dieser bedeutende Autor sollte unbedingt wieder mehr ins öffentliche Gedächtnis seiner Heimatstadt rücken”, betonte Hans-Rüdiger Schwab eingangs.

1934 in Zerbst geboren

Der Autor wurde 1934 als Sohn eines Baumeisters in Zerbst geboren, machte 1952 am Philanthropinum in Dessau das Abitur, ging im Anschluss nach Berlin, wo er bis 1956 Germanistik an der Humboldt-Universität studierte.

Bieler veröffentlichte eine Vielzahl von Romanen und auch Hörspielen, unter anderem “Maria Morzeck oder Das Kaninchen bin ich”, “Der Mädchenkrieg”, “Der Kanal”, “Der Bär”, “Still wie die Nacht – Memoiren eines Kindes” oder das Hörspiel “Der Hausaufsatz”.

Hans-Rüdiger Schwab hatte einige Texte aus diesen Werken zusammengestellt, die die Mitglieder der beiden Theatergruppen gekonnt in Szene setzten.

Sie lasen die Texte nicht einfach nur, mehr als 20 Mitwirkende schafften es, die gelesenen Passagen zu verlebendigen. Ein Beispiel: Anlässlich der Tausendjahrfeier 1949 in Zerbst verfasste Manfred Bieler ein kleines Kabinettstückchen, aus dem die Akteure den Zuschauern Teile vorlasen.

Spaßige Momente

Hier hatte das Publikum besonderen Spaß. Ging es doch um Städter, die in Zerbst einfielen, um vielleicht ein paar Gurken, Tomaten oder auch nur Rhabarber abzustauben, um Meerschweine, Kaninchen und Ochsen, die es bei der Pferdemarktlotterie zu gewinnen gab, und nicht zuletzt um die allseits bekannte zerbsterische Schnodderschnautze.

Zu Gehör kamen aber nicht nur Passagen aus Bielers bedeutendsten literarischen Werken, sondern auch aus Briefen. Ebenso waren Originaltöne des Autors zu hören und auf einer Leinwand wurden immer wieder Fotos und Handschriften eingeblendet.

Bieler war ein Freigeist, unbequem, was zur Folge hatte, dass sich auch die DDR-Staatssicherheit mit Manfred Bieler beschäftigte. Es wurden inoffizielle Mitarbeiter angeworben, die ihn bespitzelten. Selbst als Bieler schon in Prag lebte, ließ die Stasi nicht von ihm ab.

Peotische Geschichtsstunde

So wurden bei dieser “dichten literarisch-poetisch-politischen Geschichtsstunde” – so hatte Schwab am Ende den Abend genannt – auch Teile seiner Stasi-Akten verlesen.

Hans-Rüdiger Schwab hat in Vorbereitung dieses Abends die Witwe Manfred Bielers vor wenigen Wochen in München getroffen. “Sie wäre gerne heute hier nach Zerbst gekommen, um an diesem Abend teilzunehmen, ist aus Krankheitsgründen jedoch verhindert”, erklärte Schwab den Gästen.

Geplant sei jedoch, den Abend im Sommer noch einmal aufzuführen. “Es wäre sehr schön, wenn sich dieser Besuch dann im Sommer nachholen ließe, vielleicht dann schon mit einer Perspektive, wie die Stadt Zerbst diesen wunderbaren Schriftsteller Manfred Bieler, der so sehr an ihr hing und sie wie kein anderer in die Literatur eingeführt hat, ehren möchte”, betonte Hans-Rüdiger Schwab am Ende.



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