"Ich habe komplett bei Null angefangen"Syrer Joseph Alkassis ist seit fünf Jahren in Deutschland und einer der besten Abiturienten des Francisceums

Verfasst von Paul Schulz (Volksstimme) am 03.07.2019

Traditionell zeichnet der Zerbster Rotary Club bei der Abitur-Zeugnisausgabe Francisceer für besondere schulische und außerschulische Leistungen aus. Preisträger in diesem Jahr ist Joseph Alkassis, der vor fünf Jahren nach Deutschland kam. Foto: Thomas Kirchner

Traditionell zeichnet der Zerbster Rotary Club bei der Abitur-Zeugnisausgabe Francisceer für besondere schulische und außerschulische Leistungen aus. Preisträger in diesem Jahr ist Joseph Alkassis, der vor fünf Jahren nach Deutschland kam. Foto: Thomas Kirchner

Joseph Alkassis gehört zu den besten fünf Abiturienten, die dieses Jahr ihren Abschluss am Francisceum erworben haben – und das obwohl er vor knapp fünf Jahren nicht ein Wort Deutsch gesprochen hat.

Von Paul Schulz Zerbst ● Wer mit dem 19-jährigen Joseph Alkassis spricht, der wird vergeblich darauf warten, einen Akzent herauszuhören. Der junge Zerbster spricht perfekt Deutsch, dabei ist er erst im Dezember 2014 mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern aus Syrien nach Deutschland gekommen. “Ich habe hier komplett bei Null angefangen. Ich hatte in Syrien keinen Deutschunterricht”, sagt Joseph Alkassis. Doch mithilfe von Videos aus dem Internet hat er schnell erste Deutschkenntnisse erworben. Im Alltag – vor allem in der Schule – hat er dann immer weiter Fortschritte gemacht.

Hilfsbereite Mitschüler Er kann sich auch noch gut an seine erste Stunde im Zerbster Francisceum erinnern. “Ich hatte Religion. Aber abgesehen von der kleinen Vorstellungsrunde haben ich off en gesagt nichts verstanden”, sagt Joseph. Doch das änderte sich schnell. Auch dank seiner Mitschüler, die sehr hilfsbereit waren und ihn immer unterstützt haben, so Joseph. “Es war anfangs anstrengend, aber ich habe jeden Tag mehr verstanden. Jeden Tag habe ich mehr gelernt”, blickt der 19-Jährige zurück. Dass er sich generell sehr für Sprachen interessiert, hat sicherlich auch dazu beigetragen. Und jetzt, jetzt hat Joseph Alkassis sein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,2 geschafft und gehört damit zu den besten fünf Schülern des Jahrgangs.

Das nächste Ziel des jungen Syrers ist es zu studieren. “Da ich mich sehr für Sprachen und internationale Zusammenhänge interessiere, würde ich gerne ‚Internationale Beziehungen und Management‘ studieren. Wirtschaftsingenieurwesen interessiert mich aber auch”, sagt Joseph. Dafür würde er am liebsten nach Köln, Essen oder Frankfurt am Main gehen. “So moderne, westliche Großstädte reizen mich schon sehr”, verrät er.

Bürgerkrieg spürbar Die Großstadt als solches kennt Joseph noch aus seiner Heimat Syrien, denn dort hat er mit seiner Familie in Damaskus gelebt – der Hauptstadt des Landes. Doch die Familie wollte weg vom Bürgerkrieg. Sie wollte teilhaben an der modernen westlichen Welt. Sie wollte eine bessere Zukunft. So fiel der Entschluss, das Land zu verlassen, sagt Joseph. “In Damaskus war es längst nicht so schlimm wie beispielsweise in Aleppo. Wir haben auch in einem relativ ruhigen Bereich gelebt. Aber dennoch war der Krieg zu spüren. Ich konnte Explosionen hören. Manchmal sehr nah”, erinnert sich der 19-Jährige. Diese Erfahrungen haben ihn auch in Deutschland zunächst noch begleitet. Joseph erzählt: “Wenn irgendwo ein Flugzeug über mir geflogen ist, hatte ich anfangs schon ein mulmiges Gefühl. Und auch wenn geböllert wurde, war das sehr eigenartig. Ich glaube, ich war schon ein bisschen paranoid.” Doch diese Gefühle haben sich gelegt. Den Krieg hat die Familie hinter sich gelassen.

Sie zogen nach Zerbst, wo ein Onkel von Joseph schon seit vielen Jahren lebt. Übrigens sind sie “ganz normal” mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen, sagt Joseph. Sie mussten keine lebensgefährliche Mittelmeerüberquerung auf einem überfüllten Kahn auf sich nehmen. Positive Erfahrungen Hier in Deutschland fühlt er sich wohl, sagt Joseph Alkassis.

Er habe hier zum größten Teil positive Erfahrungen gesammelt und freundliche Menschen kennengelernt. Er wurde nie off en angefeindet oder ähnliches. “Manchmal werde ich zwar schon etwas unfreundlich angeguckt, aber das muss ja nichts heißen. Vielleicht hat die Person ja auch einfach einen schlechten Tag. Ich würde deshalb nie jemandem unterstellen, rassistisch oder ausländerfeindlich zu sein. Und alles in allem habe ich viele tolerante und freundliche Menschen kennengelernt. Allem voran meine Mitschüler und Lehrer.”


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